Parasoziale Beziehungen zwischen Zuhörer und Medienpersönlichkeit 

 

Horton und Wohl haben schon 1956 beobachtet: "One of the striking characteristics of the new massmedia- radio, TV and movies is that they give the illusion of face-to-face relationships with the performer. The most illustrious men are met as if they were in the circle of one´s peers." (Horton/Wohl, 216)

Die Vorsilbe “para-“, die sich als “neben-“ oder “falsch-“ übersetzen lässt, verrät den illusorischen Charakter solcher Beziehungen, die initiiert werden, wann immer Medienpersönlichkeiten die Zuschauer oder Zuhörer in ihre Vorträge wie einen stummen Dialogpartner mit einschreiben und sie so zu Schein-Dialogen machen.

“The key component that seems to be missing […] is the lack of actual response between the viewer and the personae. Viewers of TV shows and listeners of the radio are essentially engaged in a one-sided conversation as even though they may respond physically, verbally, or emotionally […], the persona cannot actually hear them.” (Zuraikat)

Die Begriffe parasoziale Interaktion und parasoziale Beziehung wurden in der Forschung lange Zeit synonym verwendet, bis Dibble 2016 eine Differenzierung vorgeschlagen hat: 

Parasoziale Interaktion sollte sich laut ihm auf einzelne Auseinandersetzungen zwischen Medien-Persona und Publikum beziehen, in denen beide Seiten sich der jeweils anderen bewusst werden und ihre Verhalten dementsprechend anpassen.

Eine parasoziale Beziehung hingegen sei ein langfristiges, einseitiges Intimitätsgefühl, welches vor allem Rezipienten gegenüber Medienpersönlichkeiten entwickelten, sofern sie deren Inhalten regelmäßig ausgesetzt seien. (Vgl. Dibble et. al., 24)

Problematisch ist, dass dieser exposure-Effekt und parasoziale Beziehungen generell schwer oder nur uneinheitlich messbar sind. Zwar haben Hartmann und Goldhoorn die Parasocial Interaction Scale (PSI) von 1985 im Jahr 2011 um die Experience of Parasocial Interaction Scale (EPSI) erweitert, sodass nicht mehr nur die Freundschaftsgefühle der Zuschauer gegenüber den Medienpersönlichkeiten, sondern vor allem Momente der gegenseitigen Bewusstwerdung und Anpassung auf beiden Seiten des Mediums festgehalten werden. Jedoch beziehen sich beide Scales vor allem auf das audiovisuelle Medium Fernsehen, womit Radio und Podcasts ausgeklammert werden, die als rein auditive Medien nicht die Möglichkeit besitzen, über Gesten und Mimik des Moderators – sowie das nicht zu unterschätzende Phänomen der perceived attractiveness - eine Illusion von Intimität herzustellen. 

„Podcasts […] have an advantage over traditional radio broadcasts in that they tend to be recorded […] without a major audience and […] pretty much anywhere the host desires, creating an already less formal ambiance for the show.” (Zuraikat)

Außerdem sind Podcast-Hosts oft Multiplattform-Influencer, deren Aussehen den Zuschauern von anderen Plattformen wie Instagram und Youtube viel eher bekannt ist als das eines Radio-Moderatoren; das konkrete, den Wortbeitrag begleitende Bild bleibt jedoch aus und lässt so die Vorstellung eines Idealbilds des Hosts vonseiten der Hörer zu.

“This idealized version of the host, while illusionary, would most likely actually strengthen the bond between listener and host, as it allows the listener to essentially customize this aspect of the relationship. This is similar in manner to how readers create their own mental image of character in books. […] To an extent, this adds a greater component of individuality […] that TV does not actually provide.” (Zuraikat)

Wie Fernsehen beinhalten auch Radio und Podcasts ein psychologisches Phänomen, das Zuraikat als mindreading bezeichnet: Unabhängig davon, ob die Mimik des Moderators zusätzliche Anhaltspunkte bieten würde, reicht schon die Stimme, um den Zuhörer unterbewusst auf den Gemütszustand des Hosts schließen zu lassen. Zuraikat betont, dass dies nicht Produkt von reflektiertem Umgang mit dem jeweiligen Medium ist, sondern aus intuitiven Gefühlen resultiert und auch eben solche produziert.  

Es ist im Folgenden wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Medienpersönlichkeit lediglich eine Persona und nicht die sie verkörpernde, reale Person, ist. Somit lässt sich nämlich erklären, dass diese Personas für die Zuschauer als Schablone eine ganz bestimmte emotionale Rolle ausfüllen können.

“The persona may be considered by his audience as a friend, a counselor, comforter, and model; but, unlike real associates, he has the peculiar virtue of being standardized according to the `formula´ for his character […] in an appropriate production format.” (Peters/Simonson, 375)

Auch hier zeigt das Podcast-Medium eine Besonderheit auf, da anders als beim Radio Inhalte hier gezielt von den Konsumenten ausgesucht werden und die Persona des Hosts bei der Entscheidung eine große Rolle spielt.

“The diversity of podcasts and their hosts allows for listeners to determine to an extent what role the host will play for them, as depending upon what emotional release they may be seeking, they can simply pick a podcast whose host and content fit their current mood.” (Zuraikat)

Die entstehende Bindung kann durch regelmäßige – wöchentliche oder tägliche - Beiträge potentiell langfristig, habitualisierend und alltagsbildend sein… jedoch ist diese sie – anders als reale soziale Kontakte – jederzeit ohne Folgen kündbar, in dem man einfach nicht mehr einschaltet oder streamt. A “Key element of parasocial interactions is the lack of obligation, effort, and responsibility that they require of the spectator.” (Zuraikat)

Dibble, J. L./ Hartman, T./ Rosaen, S.F. (2016): Parasocial Interaction and parasocial relationship: Conceptual clarification and a critical assessment of measure. In: Human Communicantion Research, 42 (1), 21-44. 

 Horton, Donald / Wohl, R. Richard (1956): Mass Communication and Para-Social Interaction: Observations on Intimacy at a Distance, In: Psychiatry Journal – Interpersonal and Biological Processes Vol. 19 – Issue 3, 215-229.

 Peters, J.D. / Simonson, P. (2004): Mass communication and American social thought – Key texts 1919-1968, Lanham: Rowman& Littlefield, 375-377.

Zuraikat, Laith (2020): The Parasocial Nature of the Podcast, In: Radio´s Second Century – Past, present, and future perspectives, hg. v. John Allen Hendricks, New Brunswick/New Jersey: Rutgers University Press.

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Pausenzeichen 

 

Das Pausenzeichen (englisch interval signal) ist ein akustisches Signal zwischen zwei Hörfunk- oder Fernsehsendungen im Hörfunk und Fernsehen, das die Unterbrechung überbrücken soll und auch der Sendererkennung dient. Zwischen dem Ende einer Sendung und dem Beginn der nächsten wurde bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern in Deutschland oder der Schweiz früher kein überbrückender Werbeblock gesendet, sondern ein sich wiederholendes Pausenzeichen. Es diente einerseits als Überbrückung zwischen zwei Sendungen während einer Sendepause, andererseits aber auch als Senderkennung („station identification“). Zudem wurden die – aus technischen Gründen – länger dauernden Umschaltphasen zwischen zwei Sendern mit Pausenzeichen überbrückt. Außerdem wird es als für jeden Sender einzigartiges Erkennungszeichen genutzt. 

Pausenzeichen-Datenbank (Ivette Bjarnason) 

ist ein Archiv mit Audioclips von Auslands- und z. T. Inlandsrundfunkanstalten mit Stationsansagen in verschiedenen Sprachen, Kennmelodien, Jingles und natürlich Pausenzeichen

https://www.intervalsignals.org/

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Phrase/Phrasierung

 

Als Phrase bezeichnet man eine Folge von Tönen, die im musikalischen Zusammenhang eine abgegrenzte, überschaubare Einheit bilden. Das plastische Hervorheben dieser Tongruppe beim Musizieren, das sinngemäße Phrasieren ist ein Merkmal guter Interpretation.

(Ziegenrücker, Wieland: ABC Musik, Allgemeine Musiklehre, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 1997, S. 196.)

 

Die Phrase gilt als ein melodischer Abschnitt aus mehreren Motiven. Der Ursprung der Phrase liegt in den vertonten Texten und deren sprachlicher Gliederung. Die Phrase umfasst mehrere Takte (meist vier). Eine gute Orientierungshilfe für die Länge von Phrasen besteht in dem Singen von diesen. Die Dauer der Phrase bzw. ihre Abgrenzungen werden in der Interpretation durch die Phrasierung bestimmt und gekennzeichnet. Dabei entsteht davor bzw. danach eine Zäsur (Gliederungspunkt) durch kurzes Absetzten und erneutes Wiederansetzen.

Unter der Phrasierung wird die (Sinn-)Gliederung von melodisch-harmonischen Abläufen zu Gestalten/Abschnitten verstanden, die etwa das Ausmaß einer Atemlänge beim Singen haben. Der Ursprung der Phrasierung liegt in der sinnhaften Wiedergabe eines Sprachtextes mithilfe von Interpunktion. Formeinheiten der Phrasierung sind Taktmotive, Taktgruppen, Halbsätze und Perioden.

(vgl. Amon, Reinhard: Lexikon der musikalischen Form. Nachschlagewerk und Fachbuch über Form und Formung der Musik vom Mittelalter bis in die Gegenwart. In Zusammenarbeit mit Gerold Gruber. Wien 2011, S. 276 f.) 

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Piratensender

 

Piratensender sind Rundfunksender, die als Schwarzfunksender ihr Programm ohne Lizenz ausstrahlen. Grob können die Piratensender (auch Seesender genannt) in drei Tendenzen eingestuft werden. I) Politische Sender, die mittels einer Guerilla-Taktik subversive Strategien verwenden, um politische Botschaften in die Welt zu senden - oftmals auch unter dem Druck einer starken staatlichen Zensur. II) Kommerzielle Sender, die Werbung senden und verkaufen. III) Bastler*innen, die mittels CB-Funk funken und daraus Sender entwickeln.

Beispiel: Dreyeckradioland, 1977 in Deutschland; Radio Wahnsinn, 1980 in Köln - mit wechselnden Sendestandorten (zuletzt: Kölner Dom)

Filmbeispiele (wenn auch qualitativ fragwürdig): Piratensender Powerplay (1982) mit Mike Krüger und Thomas Gottschalk; Radio Rock Revolution (2009) u.A. mit Philip Seymour Hoffman.

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 Podcasts 

 

Podcasts erleben momentan einen Trend: es gibt eine breite und diverse Masse, aus der man seine Inhalte auswählen kann. Sie sind meist episodisch aufgebaut und behandlen verschiedenste Themen. 

These: Man kann sie als moderne/neue Rezeptionsform von auditiven Inhalten bezeichnen, die die Hörspielkultur einerseits ablöst, andererseits sich für den Konsum von solchen Inhalten stark macht. Außerdem weisen viele Podcasts gewisse Strukturen auf, die dem Hörspiel ähneln. Zum Beispiel werden bei dem True-Crime Podcast "Mordlust" wahre Kirminalfälle aufgearbeitet und in einem Narrativ dargelegt. Zudem adaptieren viele Podcasts auch künstlerische Merkmale aus der Performance-Kunst. Bei dem Zeit-Podcast "Alles gesagt?" interviewen zwei Chefredatkeure einen Gast solange, bis dieser ein vorher festgelegtes Codewort sagt. Diese spielereische Vorgehensweise lässt sich auch in der Performancekunst bei zum Beispiel Happenings wiederfinden.  

Der Begriff Podcast setzt sich zusammen aus dem Wort Pod von iPod (MP3-Player von Apple) und dem Wort Cast von Broadcast (im Deutschen Rundfunk). Es gibt Radio und Fernsehsendungen als Podcasts und Podcasts werden auch im Radio gespielt. Anders als die traditionellen bzw. klassischen Medien, hat ein Podcast keine festen Sendezeiten. Deshalb wird bei Podcasts auch von Audio ,,on demand", also auf Abruf, gesprochen. Die Sequenzen einer Podcast-Reihe werden Episoden genannt und diese Podcast-Episoden können von den Hörerinnen und Hörern heruntergeladen oder abonniert und zu jeder Zeit angehört werden. Dadurch kann auch verhindert werden, dass die Hörerinnen und Hörer eine Folge bzw. eine Episode eines bestimmten Podcasts verpassen, im Gegensatz zur damaligen Zeit, in der die Hörerinnen und Hörer ihre Radios zu einem bestimmten Zeitpunkt einschalten mussten, um eine bestimmte Sendung hören zu können. Des Weiteren ist ein Podcast nicht nur eine einzelne Audiodatei (oder manchmal auch Videodatei), sondern ein Podcast besteht immer aus einer ganzen Serie von Audiodateien (oder Videodateien).

(Teilweise aus https://www.ohrenblicke.de/hilfe/was-ist-ein-podcast, )

These: Podcasts haben sich vom parasitären Medium zum Eigenständigen entiwickelt.

2005 wurden Podcasts in Apple´s iTunes Programm eingeführt und so erstmals einem potentiellen Massenpublikum zur Verfügung gestellt - doch tatsächlich verkam das Format über die nächsten zehn Jahre zur Nische und wurde vor allem als Weiterentwicklungsmöglichkeit von Radio und TV gesehen. Sämtliche Sender, darunter auch die ARD, nutzten Podcasts, um bereits gesendete Inhalte gewissermaßen neu zu verpacken und wiederzuverwenden. Das traditionelle Radio lässt sich schließlich durch zwei Hauptmerkmale charakterisieren: 1. Seine flexible und mobile Nutzungsmöglichkeit und 2. die Linearität seines Angebots. 

"Radio ist immernoch etwas, das uns überkommt. Wir schalten das Radio ein und es läuft mmer schon ein bestimmtes Programm oder ein bestimmtes Lied- Zwar können wir wählen, welches Genre, welche Moderatoren und, wenn wir bewusst zu einer bestimmten Zeit einschalten, sogar welche Sendung wir hören wollen. Doch ganz ehrlich, wer hört heute noch derart gezielt Radio?“ (Zwinzscher)   

Die Limitierung durch Linearität sollte in der Ära des Egocastings durch die häppchenhafte Zubereitung im Podcast-Format bereits ausgestrahlte Inhalte zitierbarer und verfügbarer machen - außerdem erhoffte man sich durch eine Online-Präsenz eine erhöhte Bindung vom Radiohörer an den Radiomoderator, der durch Profil- und Bildzuweisung im Internet ein transparenteres Identifikationsangebot bieten sollte. Bleibt jedoch die Frage, ob das Radio dies je wirklich nötig hatte. Oehmichen und Schröter, die Podcasts als Evolution des Radios proklammieren, räumen selbst ein, dass das Radio seinen hohen "Stellenwert als Alltaggsbegleiter [...] trotz aller lebhaften Veränderungen der Medienlandschaft in den letzten Jahren gefestigt und die Bindung des Publikums an das Medium verstärkt" hat. (Oehmichen/Schröter, 18)

Nach über etwa zehn Jahren als vorrangig parasitäres Medium wurde erst 2014 die Aufmerksamkeit auf eigenständige Podcast-Formate zurückgelenkt, die sich in ihren Nischen über Jahre gebildet, und deren Möglichkeiten und Rahmungen von den Hosts ausgetestet und perfektioniert wurden. Anlass für diesen bis heute anhaltenden Hype war eine euphorische Verkündigung der New York Times als Reaktion auf Sarah Koenigs Podcast "Serial", in welchem ein zehn Jahre alter Mordfall so fesselnd wieder aufgerollt wurde, dass sogar die Justizbehören ihn neu bewerteten. (Vgl. Zwinzscher)

These: Podcasts grenzen sich nicht aufgrund ihrer technischen oder rhetorischen Möglichkeiten vom Radio als eigenständiges Medium ab, sondern durch die Art, wie sie gebraucht werden.

"Technology is pressed into shape by those who use it." (Meserko, 22) 

Podcasts verstehen sich zwar ebenso wie das Radio als Begleitmedium des Alltags, das sich den Rezeptionsbedinungen anpasst. Anders als das Radio jedoch, welches eher als Reaktion auf Zeitlücken - wie zum Beispiel beim Autofahren - eingeschaltet wird, und der Zuhörer dann entweder in den flow des bereits laufenden Sendeinhalts eintaucht oder das Gerät wieder ausschaltet, werden Podcasts ganz gezielt für Zeitlücken ausgesucht und im Voraus heruntergeladen. So erreichen Podcasts auch eine faktische Mobilität, die durch das mobile Daten benötigende Internetradio nicht gegeben ist. Und an dieser Stelle wird es sehr wichtig, dass Podcasts über eine so lange Zeit Nischenkulturen bedient haben. "Das Radio versorgt automatisch, entspricht damit aber nur begrenzt individuellen Bedürfnissen und Interessen." (Oehmichen/Schröter, 15) Podcasts sind nicht nur episodenhaft, in ihrer Essenz geradezu anti-live nach dem Motto "Alles zu seiner Zeit" statt "Jetzt oder nie", sie sind auch in einer solchen Themenvielfalt vorhanden, dass Hörer Podcasts nach ihren individuellen Interessen aussuchen können. Bei einem so breiten Angebot verlangt dies mehr Aktivität vom Zuhörer, als einfach nur das Radiogerät einzuschalten und anzunehmen, was auch immer gerade läuft. Es besteht eine Kombination aus Push-und Pull-Methoden: Zunächst müssen sich potentielle Hörer nach dem "Pull"-Verfahren mit dem Angebot und den diversen Quellen gezielt auseinandersetzen und interessenspezifische Inhalte auswählen. Sobald dies aber getan ist, greifen "Push"-Technologien zur vereinfachten Kosnumierung und Habitualisierung, da ein abonnierter Podcast von iTunes oder Spotify jede Woche nach Erscheinung automatisch heruntergeladen werden kann. (Vgl.Oehmichen/Schröter, 11)

"Während Radios ihr Programm breit aufstellen, um möglichst viele Menschen zu erreichen, wissen Podcaster oft genau, wer ihre Hörer sind." (Zwinzscher) So besteht auch auf Seiten der Inhaltschaffenden ein elementarer Unterschied zu traditionellen Medien - das sich längst durch Werbekooperationen und Algorithmen professionalisierte YouTube eingeschlossen! 

Podcasts bieten Content Creators eine Formfreiheit, wie es kein traditionelles Medium erlaubt: Keine Abhängigkeit von Werbeunterbrechungen, Thementabus und erzwungenem Pressen jeglicher Formate in feste Sendezeiten - streng genommen besteht bei Podcasts nicht einmal die Notwendigkeit, das Audiomaterial zu schneiden!

"NPR´s Alex Pesco erklärt seinen Wechsel vom größten öffentlich-rechtlichen US-Sender zum Podcast `The Gist´ [...] damit, dass er jetzt zwar weniger Hörer habe, diese dafür umso interessierter sind. Außerdem bekomme er mehr Geld und dürfe endlich fluchen." (Zwinzscher) 

Youtube wird seiner Proklammierung als Vorzeigeplattform des Web 2.0 und des participatory turn nicht gerecht, denn nicht nur bevorzugt der Algorithmus Regelmäßigkeit über Qualität der hochgeladenen Videos; der Beruf des Youtubers, der sich über die letzten 15 Jahre professionalisiert hat, steht in Abhängigkeit von Werbedeals mit großen Firmen und ist somit verankert in "old logics of ownership and profit" (Uricchio, 25). Dieser Manie der Selbststilisierung unter zunehmend erdrückenden Bedingungen entfliehen nun Content Creators wie Radiomoderatoren und wechseln zum für sie frei gestaltbaren Podcast-Format.

“Podcasters can broadcast their message from a basement, a garage, or even a kitchen using a small and unsophisticated setup. This setting engenders a sense of trust and intimacy among those engaging in conversation and performance. ” (Meserko 25)

Diese Personalunion von Podcastern als Host und Influencer gleichzeitig, zeigt eine Tendenz in Richtung von nicht-mediumgebundenen Inhalten auf, die über mehrere Medienkanäle fließen. Auch hier sind Podcasts mit ihrer Einbindung in u.a. Spotify und iTunes besser in die vorhandene digitale Medienlandschaft eingebunden als das traditionelle Radio. Content Creators sehen also im Podcast eine formfreihe Alternative zu traditionellen Medien, die ihnen als Inhaltschaffenden die Kontrolle zurückgibt:

"The podcast does give the creative person hope [...] that the control of content is indeed moving back into the hands of the content producers, that the large media establishment’s grip on artistic distribution is becoming unclenched." (Meserko 38)

Auch Selbstvermarktung und Branding werden somit in die Hände der Hosts zurückgegeben. Wechseln sie von einem anderen Format wie Youtube-Videos, Kabarett-Auftritten oder Radio-Moderationen zu Podcasts, so bietet dieses Medium Rahmenbedingungen, die befreiend wirken können: Zu der Bequemlichkeit der Aufnahme kommt die Tatsache hinzu, dass eine direkte Reaktion des Publikums (sei es live im Studio, durch Anrufe oder durch Likes/Dislikes) - und somit auch potentielle Abweisung - ausbleibt. Auch setzt die Tatsache, dass ein Rezipient den Podcast eines Content Creators im breiten Angebot der Plattformen herausgesucht und gezielt gedownloadet hat, voraus, dass er oder sie bereits mit dem Inhalt des Content Creators bekannt und ihm gegenüber wohlgesinnt ist. Wieder ist die Nischenbedieunung ein Vorteil: 

"The podcast’s general lack of mainstream visibility as a medium is not detrimental, but rather, podcasting is especially well matched to fulfill the needs of what is still a niche community of comedy fans.” (Meserko 33)

 

These: Podcasts erschaffen eine Zwischensphäre des Öffentlichen.

"A podcast is usually a personal sound experience and can blur the lines between the traditional understanding of public and private thoughts as the podcast host is sharing `intimate´ thought both to the individual, and the mass public.” (Zuraikat)

Allein schon die akustische Nähe, die durch das Rezipieren von Podcasts über Kopfhörer gegeben ist, übersteigt die Live-dabei-sein-Proklammation einer TV-Sendung: "We all know how these viewing experiences are attended by a powerful sense of being there. It can be even more enveloping with words spoken to us through a pair of earphones.” (MacDougall, 2012, 178.) Auch wird dadurch eine Verschmelzung von physisch- und digitalem Raum - von der Akustik und anderen Stimuli (Sinneseindrücken) ermöglicht, was die immersive Simulation einer Unterhaltung zwischen Podcast-Host und Zuhörer einem realen Gespräch annhähert, denn die kommen ja selten im Vakuum vor. 

Interessanterweise kann an dieser Stelle ein Vergleich zum TV gezogen werden, denn oftmals vermögen es Podcasts, sich als Vermittlungsmedium gerade dann unsichtbar zu machen, wenn sie explizit vom Host thematisiert werden, etwa mit Bemerkungen wie:

"Gut, dass das hier ein Podcast ist und ihr mich nicht sehen könnt, denn ich sehe furchtbar aus!" (Vgl. Kolumnist Michael Buchinger).

Umberto Eco erklärt: Wer nicht in die Kamera guckt, impliziert, dass er das, was er tut, auch ohne Beisein der Filmcrew tun würde, während der Blick in die Kamera die Präsenz des Fernsehens gegenüber dem Zuschauer unterstreicht.

"Implizit vermittelt der Sprechende ihm, dass die gerade entstehende Beziehung zwischen ihnen etwas `Wahres´ enthält. [...] Dieses Verhalten, das die Präsenz des Mediums Fernsehen so offenkundig unterstreicht, erzeugt nun kurioserweise in `naiven´ [...] Zuschauern die entgegengesetzte Wirkung. Sie verlieren den Sinn für die Mediation des Fernsehens und für dessen grundlegende Eigenschaft als Transmission.“ (Eco, 197f.)

Ähnlich wird auch der Beziehungsaufbau zwischen Podcast-Host und seinen Zuhörern in Richtung einer parasozialen Beziehung begünstigt. Der informelle Tonfall und der oft improvisierte, nicht script-gebundene Inhalt verwischen  durch die entstehende "Kaffeeklatsch-Athmosphäre" nicht nur die Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatem, sondern auch die zwischen Inhaltschaffenden und Konumenten.

Zwinzscher verweist darauf, dass Podcast-Hosts diese Intimität ausnutzen können, indem sie "Werbebotschaften selbst einsprechen und so quasi persönliche Nachrichten entstehen, die für Werbekunden besonders attraktiv sind.“ (Zwinzscher) So verdient Roman Mars mit seinen "Radiotopia"-Podcasts pro Sendung bis zu 15.000 Dollar. "Für ein Nischenprogramm mit einem Nischenthema ein beachtlicher Erfolg, auch kommerziell." (Zwinzscher)

Jedoch bleibt auch hier die Kontrolle über den Inhalt in der Hand der Podcaster, denn sie sind nicht von Werbefinanzierung abhängig und können entscheiden, ob sie die Werbung zu Beginn, mitten im Video oder ganz am Ende positionieren wollen, genau wie ihre Hörer anders als bei Youtube-, TV- oder Radio-Werbung entscheiden können, ob sie diese Passagen einfach vorspulen oder eben - weil es ja die Stimme des Bekannten, zum Alltagsbegleiter gewordenen Podcast-Hosts ist - wohlwollend anhören.

Podcastbeispiel: Buchingers Tagebuch (2018-heute), Michael Buchinger.

Eco, Umberto (1983/ 2015): Fernsehen – Die verlorene Transparenz; In: TeleGen – Kunst und Fernsehen hg. v. Dieter Daniels, Stephan Berg, München: Hirmer Verlag, S.195-205.

MacDougall, R.C. (2012): Digination – Identity, organization, and public life in the age of small digital devices and big digital domains, Madison: Fairleigh Dickinson University Press.

Meserko, VinCe M. (2015): Standing Upright – Podcasting, Performance and Alternative Comedy, In: Studies in American Humor Vol. 1 No.1 hg.v. Lawrence Howe, Penn State University Press, 20-40.

Oehmichen, Ekkehardt/ Schröter, Christian (2009): Podcast und Radio: Wege zu einer neuen Audiokultur?, In:Media Perspektiven (1/2009), Frankfurt am Main: ARD -Werbung Sales & Services GmbH, 9-19. [https://www.ard-werbung.de/media-perspektiven/fachzeitschrift/2009/artikel/podcast-und-radio-wege-zu-einer-neuen-audiokultur/; zuletzt abgerufen am 11.05.2020]

Uricchio, William (2009) : The Future of a Medium once known as Television, In: The Youtube Reader hg. v. Pelle Snickars, Patrick Vonderau, Stockholm: Columbia University Press. S.24-39.

Zuraikat, Laith (2020): The Parasocial Nature of the Podcast, In: Radio´s Second Century – Past, present, and future perspectives, hg. v. John Allen Hendricks, New Brunswick/New Jersey: Rutgers University Press.

Zwinzscher, Felix (09.06.2015): Nur noch hören, worauf ich Lust habe; In: Die Welt Online. [https://www.welt.de/kultur/article142184850/Nur-noch-hoeren-worauf-ich-Lust-habe.html; ]

>> "Ich frage mich, inwiefern wir Podcasts mit in unsere Definition von Radiokunst einbeziehen können? Podcasts sind ja, wie schon herausgearbeitet wurde vor allem durch ihre Rezeption vom Radio abgegrenzt, haben aber dennoch viele überlappende Merkmale (und es betreiben ja auch viele klassische Radiosender mittlerweile Podcasts). Und Podcasts wie "Welcome to Nightvale" bedienen sich ja auch bewusst einem Radioformat, die Verwandtschaft lässt sich nicht auslöschen. Jetzt ist nur die Frage, ob Podcasts auch als Radiokunst zählen dürfen, oder ob dafür der Faktor des live Sendens gegeben sein muss, oder die Einbindung in eine Radiosendung/an einen Sender?"

>> "Ich würde Podcasts trotz ihrer Abgrenzung vom Radio selbst auch weiterhin als Radiokunst verstehen, eben wegen ihrer Wurzeln und den doch sehr ähnlichen Abläufen in Herstellung und Bearbeitung. Sieht man sich allerdings das Radiokunstmanifesto an, so kann diese Ansicht sicher auch in frage gestellt werden."

 

>> "Das Ganze ist wahrscheinlich eine Sache der Perspektive: Im Versuch, Radiokunst zu definieren, ist bereits aufgefallen, dass das nicht so einfach ist. Wir haben Radiokunst zwar in gewisser Weise an das Medium Radio gebunden, doch verändert sich dieses durch das Internet (Eintrag Internetradio) und dadurch weitet sich auch die Defnition von Radiokunst und ihren Möglichkeiten."

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Pop-Hörspiel

 

Günter Rinke formulierte in seiner 2017 erschienen Monografie einen neuen Hörspiel-Typus und bringt somit noch mehr Dunkel ins Radiokunst-Genre-Chaos. 

Ähnlich wie literaturwissenschaftliche Forschung zu Popliteratur öffnet Rinke mit der Unterscheidung von Pop-Hörspiel und Pop im Hörspiel. Darüber definiert er ein Genre von Hörstücken, die hauptsächlich in den 70er und 80er Jahren ausgestrahlt wurden und „irgendwas mit (Pop)Musik“ zu tun haben. Als konstituierendes Merkmal stellt er musikalische Elemente mit aktuellen Tendenzen heraus. Entstanden ist das Pop-Hörspiel im diskursiven Geiste der Beatniks, den Literat*innen der Beat Generation der 50er/60er-Jahre, und dem der 68er.

(Rinke: Das Pop-Hörspiel. Definition – Funktion – Typologie, 2017)

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Produzent 

 

Exekutiver Produzent: Er ist wirtschaftlich und organisatorisch für eine Produktion (Film,- Musik-, Hörspielproduktion) verantwortlich. Er trägt die Kosten und das finanzielle Risiko, koordiniert und leitet die Produktion und kümmert sich um die Vermarktung des fertiggestellten Endproduktes. 

Künstlerischer Produzent: Er ist für den künstlerischen Inhalt zuständig. In den meisten Fällen ist er auch gleichzeitig der Engineer (Toningenieur). Er berät den Künstler bei dem Aufbau und Arrangement der Produktion und ist verantwortlich für den Mix und evtl. auch das Master. 

Die Grenzen zwischen exekutiven und künstlerischen Produzent sind oft fließend. 

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Programmusik/ Programmmusik 

 

In Opposition zum Begriff "Absolute Musik" bezeichnet dieser Begriff solche Musik, die auf etwas Außermusikalisches, etwa eine Idee, ein Naturphänomen, ein Narrativ verweisen soll. Dies macht die Programmmusik für eine Verwertung von Hörspielen interessant, da sie auf etwas verweist, das nicht (nur) akustisch ist, und somit illustrierend und verstärkend in einem Hörspiel eingesetzt werden kann. Wie man Programmmusik realiter umsetzt, ist umstritten. Ansätze reichen von der Imitation von Naturgeräuschen (Wind, Wellen, Sturm etc.) durch Instrumente, über leitmotivische Techniken, über die Imitation folkloristischer Musik zur Erzeugung von National- oder Lokalkoloriten, bis hin zum Abrufen bereits vorhandener Assoziationen (bspw. Bläserfanfaren, die häufig als "triumphal" oder "heldenhaft" wahrgenommen werden).

Quellen:

Renate Federhofer-Königs: Programmusik, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Spalte 1643, Kassel/ Basel/ London/ New York 1989

Vgl. Sideways: How a Superhero Theme Works, entn. aus: https://www.youtube.com/watch?v=OLweJucEPL0 Reupload vom 11.03.2020, Original vom 26.08.2017 

Das Programm eines Musikstücks wird dem Hörer meist mittels Erläuterung oder Inhaltsangabe mitgeteilt. Die Musik kann am Programm entlang komponiert sein, wodurch dieses zum tragenden Gerüst wird oder die außermusikalische Quelle dient lediglich der ersten Inspiration. Außermusikalische Einwirkung kann die Formgestaltung erleichtern, indem sie Vorgeformtes (wie Lyrik) einbringt. Sie kann aber auch der freien Entfaltung systemimmanenter musikalischer Kräfte entgegenstehen. Manchmal wird ein vorhandenes Programm vom Komponisten der Öffentlichkeit vorenthalten (Bsp.: A. Berg: Lyrische Suite). Zwischen den beiden Polen der Absoluten Musik und der Programmmusik mit klar definierten Funktionen haben sich viele Mischtypen etabliert.

(vgl. Amon, Reinhard: Lexikon der musikalischen Form. Nachschlagewerk und Fachbuch über Form und Formung der Musik vom Mittelalter bis in die Gegenwart. In Zusammenarbeit mit Gerold Gruber. Wien 2011, S. 284 f.) (Leonora Mense).